Beleuchten wir einmal eine Ecke der Störerhaftung, in der es ausnahmsweise nicht darum geht, wann der Intermediär, also etwa der Hoster, der Forenbetreiber, der Suchmaschinenanbieter, der Access-Provider, der Inhaber eines Internetanschlusses oder eBay für fremde Inhalte verantwortlich ist. Werfen wir unseren Juristenblick doch einmal auf den, der an alledem Schuld ist, nämlich auf den Verletzer, den “unmittelbar Handelnden”.
Es gibt gar nichts zu verniedlichen: Der unmittelbar Handelnde ist der, der uns immer diesen ganzen Ärger einbrockt. Er kotzt Stefan Niggemeier ins Forum, er beliefert über eBay arme Würmer, die’s offenbar nötig haben, mit gefälschten Rolexen, er schwärzt an, beleidigt und macht über Tauschbörsen mit klammheinmlicher Freude Musikaufnahmen öffentlich zugänglich. Weil es den unmittelbar Handelnden gibt, erfindet das LG Hamburg solchen Unfug wie die “gefährliche Einrichtung Internetforum“, und wegen ihm erlegt uns der BGH aus dem Nichts heraus Prüfungspflichten auf.
Die mir bekannten Urteile, die sich in Störerhaftungskonstellationen spezifisch mit dem Verhältnis des unmittelbar Handelnden zum Intermediär und/oder zum Verletzten auseinandersetzen, sind bei weitem nicht so zahlreich wie die mitunter grottigen Entscheidungen, mit denen unschuldige Intermediäre überzogen wurden. Kennt jemand Urteile? Bitte unten in die Kommentare posten oder mir schicken.
Eine Entscheidung gegen den unmittelbar Handelnden haben wir vor ein paar Jahren für einen Forumsbetreiber erwirken dürfen, die bestätigte, dass dieser einen nervenden Nutzer aus dem Forum werfen und ihm den weiteren Zugang dauerhaft verwehren durfte. Das LG München begründete die Entscheidung damals u.a. damit, dass der Anbieter eines Forums unter Umständen ja für die Postings des Forumsteilnehmers haftet, weswegen der Anbieter den Teilnehmer auch vor die Tür setzen kann, wenn’s ihm zu bunt wird. Sehr richtig.
Ein anderes interessantes Urteil, das sich mit der Dreiecksbeziehung “unmittelbar Handelnder-Intermediär-Verletzter” befasst, hat nun unser Head of Forensic Services bei JBB, mein Kollege Sebastian Biere vor dem OLG Hamm (Urteil vom 28. Januar 2010, I-4 U 157/09) erwirkt. Dort ging es u.a. um die nicht minder interessante Frage, wer die Kosten zu tragen hat, wenn der Verletzte den Intermediär durch seinen Anwalt von der Rechtsverletzung in Kenntnis setzt (die entscheidenden Passagen der recht ausführlichen Entscheidung beginnen auf Seite 14). Zur Erinnerung: Die Inkenntnissetzung ist keine Abmahnung. Bis zur Inkenntnissetzung haftet der Intermediär nicht. Seine Verantwortlichkeit, und daher eine etwaige Unterlassungsverpflichtung, die eine Kostentragungspflicht nach sich ziehen könnte, setzt in der Regel eine Inkenntnissetzung voraus. Die Inkenntnissetzung wirkt für den Intermediär daher allenfalls haftungsbegründend. Weil er bis dahin gar nicht haftet, haftet er auch nicht für zuvor entstandene Aufwendungen, also inbesondere nicht für die Anwaltskosten des Verletzten.
Wenn der Intermediär für die Inkenntnissetzung aber nicht zahlen muss, wer trägt im Ergebnis diese Kosten? Der Verletzte? Falsch. Die Antwort des OLG Hamm: Der unmittelbar Handelnde. Und dies nach Auffassung des Gerichts sogar dann, wenn der Verletzer identifizierbar ist und durch den Verletzten bereits abgemahnt wurde.
Diese Auffassung ist richtig: Der unmittelbar Handelnde begeht mit seiner Verletzungshandlung ein Delikt, das über die §§ 823, 1004 BGB, 97 UrhG, 14, 15 MarkenG, 9 UWG usw. kompensiert werden kann. Rechtsfolge neben der Unterlassung ist in der Regel die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz. Der unmittelbar Handelnde muss also dem Verletzten den durch die Handlung adäquat-kausal verursachten Schaden ersetzen. Zu diesem Schaden zählen die angemessenen Aufwendungen, die der Verletzte für seine Vertretung als erforderlich erachten durfte. Dies umfasst auch die Kosten der Rechtsverteidigung, und zwar nicht nur, soweit diese aufgrund einer anwaltlichen Tätigkeit gegen den unmittelbar Handelnden entstehen, sondern auch, soweit sich die anwaltliche Tätigkeit auf Aktivitäten mit Bezug zu Dritten wie den Intermediär erstreckt. Dass damit eine Kostenerstattungspflicht für mehr als eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne entsteht, ist ohne Belang. Entscheidend ist vielmehr, ob die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung angemessen sind. Für mich ergibt sich die Angemessenheit eines anwaltlichen Tätigwerdens (auch) in Richtung Intermediär bereits daraus, dass sich der unmittelbar Handelnde zur Vermittlung und Verböserung seines rechtswidrigen Tuns der Dienstes des ahnungslosen Intermediärs bedient und diesen in die Auseinandersetzung mit hineinzieht. Der unmittelbar Handelnde hat dadurch über seine eigentliche Verletzungshandlung eine Bedingung in einer (weiteren) Kausalkette gesetzt, in die der Verletzte zur Unterbindung der Störung mit juristischen Mitteln eingreifen darf. Wenn mehrere an einer Verletzungshandlung mitwirken, darf der Verletzte außerdem – so ausdrücklich das OLG Hamm und die Vorinstanz des Landgerichts Bochum – zu dem Mittel der Rechtsverteidigung greifen, das die “größtmögliche Schnelligkeit und Sicherheit” verspricht. Der Verletzte muss nicht damit rechnen, dass die Abmahnung gegenüber dem unmittelbar Handelnden sofort zu einer Beendigung der Beeinträchtigung führt.
All dies ist eigentlich logisch und folgerichtig, aber es ist schön, das auch mal schwarz auf weiß in einer obergerichtlichen Entscheidung zu lesen.
(Der unmittelbar Handelnde ist übrigens auch dafür verantwortlich, dass man in diesem Blog derzeit nicht einfach so einen Kommentar hinterlassen darf, sondern erst, nachdem ich den freigegeben habe. Das hat weniger etwas mit einer etwaigen Furcht vor Haftung zu tun, die habe ich nämlich nicht, ich kann mich ja wehren, sondern eher damit, dass ich unmittelbar Handelnden wie Spammern, Trollen und Besserwissern keine kostenlose Plattform für ihren Müll zur Verfügung stellen will, der die nervt, die ernstahft diskutieren oder lesen wollen. Das Freigabeerfordernis hat ausschließlich mit einem gewissen hygienischen Anspruch zu tun.)