Letzten Freitag berichtet Kollege Dennis Gehnen – ohnehin schon gut gelaunt vor lauter Vorfreude auf den anstehenden Pokalsieg seines SV Werder (hat sich bewahrheitet, ich hab’s mitansehen dürfen) – in unserer täglichen Kanzleibesprechung von folgendem lustigen Fall, der gerade auf seinem Schreibtisch gelandet ist:
Unsere Mandantin betreibt den größten Online-Marktplatz für Mietartikel. Mieter und Vermieter finden auf der Plattform zueinander, um Mietgeschäfte vom Anhänger bis zum Zeppelin abzuschließen. Unsere Mandantin agiert dabei als Vermittler zwischen den beiden Seiten. Nun geht eine Abmahnung bei unserer Mandantin ein, aus der zu zitieren es sich echt lohnt:
“Urheberrechtsverletzung
Sehr geehrte Damen und Herren
ich zeige an, dass ich die rechtlichen Interessen von Herrn … vertrete.
Es wird festgestellt, dass Sie seit 28.03.2006 unter der Firmenbezeichnung … mit der Domain www…com einen Online-Marktplatz für Mietartikel im Internet betreiben. Die vorliegende Geschäftsidee ist nahezu identisch mit der von mir im Schreiben vom 12.09.2002 dokumentierten Idee einer “Internetplattform für Vermeitungen” unter der Bezeichnung … oder … (siehe Anlage 1). Die charakteristischen Eigenschaften dieser geplanten Internetplattform sind von Ihnen fast vollständig übernommen worden. Dazu gehört insbesondere die Idee, dass Dritte Gegenstände für Vermietungen auf einem internetbasierten Marktplatz zur Verfügung stellen sowie die Erzielung von Vermittlungsgebühren.
Eben diese Merkmale sind von Ihnen in der von Ihnen betriebenen Domain www…com vollständig verwirklicht. Die schöpferische Originalität meiner Idee ist von Ihnen kopiert worden. Damit verstoßen Sie gegen §§ 15,20, aber auch § 13 UrhG. Ihr Verhalten ist gemäß § 97 UrhG zu unterlassen. Daneben verstößt Ihr Verhalten auch unter dem Gesichtspunkt der Verwertung von Geschäftsgeheimnissen gegen §§ 17 UWG.
Die entsprechende Geschäftsidee war Gegenstand mehrerer e-mail-Nachrichten an den in Berlin wohnhaften Studenten der Informatik … im Zeitraum vom 24.09-26.09.2002. Daneben wurde die Geschäftsidee mit Herrrn … per e-mail besprochen.
Zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung habe ich Sie daher aufzufordern,…”
Absender der Abmahnung ist ein weder sonderlich junger noch sonderlich alter Rechtsanwalt aus Winnenden mit Tätigkeitsschwerpunkt Steuerrecht, der auf seiner Website mit der Information wirbt, er habe im Jahre 2000 Seminare zum Internet- und Medienrecht besucht. Needless to say, dass er neben der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auch die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von EUR 1.057,69 inklusive 16 % (!) Mehrwertsteuer verlangt.
Na ja…
Zur Klarstellung für die Nicht-Juristen unter uns: Auch in Baden-Württemberg gibt es natürlich keinen urheberrechtlichen Ideenschutz für geplante Internetplattformen durch E-Mail-Korrespondenz mit Dritten über diese Ideen. Hier eine Präsentation zum urheberrechtlichen Werkbegriff des Lehrstuhls Prof. Hoeren in Münster. Weiter gehende Informationen ab Seite 112 des Skriptums Internetrecht desselben Gelehrten.
Weitere Klarstellung: Abmahnungen sind im Prinzip nichts Schlechtes. Und sogar die anwaltlichen Abmahnkosten sind im Prinzip nichts Schlechtes. Wenn jemand die Rechte eines anderen verletzt, muss er eben gewisse Konsequenen tragen. Zur gerechten Lastenverteilung gehört auch, dass derjenige, der ohnehin schon den Schaden hat und seinem Recht hinter rennt, nicht noch zusätzlich gestraft wird, indem er noch auf den heftigen Anwaltskosten hängen bleibt. Und schließlich [ACHTUNG: hier kommt eine ehrliche Äußerung eines Anwalts] stellt die mögliche Kostentragungspflicht für viele potentielle Verletzer den einzigen Anreiz dar, von vornherein keine Verletzung zu begehen. Wenn die einzige realistische Folge eines rechtswidrigen Tuns die Verpflichtung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ohne jede finanzielle Einbußen wäre, würde sich nach meiner persönlichen Überzeugung niremand mehr an irgendetwas halten. Natürlich gibt es so etwas wie einen Abmahnungmissbrauch, vor allem, wenn es gegen unerfahrene Verbraucher wegen nicht geschäftlicher Handlungen geht. Aber davon rede ich hier nicht. Ich rede vom Grundfall der Abmahnung, und der ist okay.
Was den eingangs geschilderten Fall nun berichtenswert macht, ist weniger der Umstand, dass aufgrund einer fehlerhaften juristischen Einschätzung eine Abmahnung verschickt wird. Das ereignet sich pro Tag tausendfach und man kann als Anwalt auch schon einmal daneben liegen. Passiert selbst den besten von uns. Frappierend ist hier vielmehr neben der Verkennung ganz zentraler urheberrechtlicher Prinzipien die strategische Kurzsicht des Anwalts im Umgang mit Abmahnungen [Kollegenbashing liegt mir nicht, ich liebe eigentlich alle Anwälte, aber um zu sagen, was ich sagen will, muss ich mich aber mit dem Vorgehen des Gegenanwalts im hiesigen Fall ein wenig auseinandersetzen, auch wenn er nicht gut dabei weg kommt].
Abmahnungen sind sicherlich ein besonders beliebtes Mittel zur Einschüchterung von Privatverkäufern auf eBay oder Tauschbörsennutzern, die bislang mit rechtlichen Angelegenheiten noch nie etwas zu tun hatten. Bei dieser Empfängergruppe erzielen Anwaltsbriefköpfe, Paragrafenzeichen und Kostenerstattungsforderungen vielleicht den gewünschten Effekt, selbst wenn die Abmahnung fleischlos ist. Unternehmen, allen voran Medienunternehmen, lassen sich hingegen von dahingesauten Abmahnungen nicht beeindrucken. Und schlimmer noch: Einer unberechtigten Abmahnung folgen vielleicht berechtigte Gegenansprüche. In jedem Fall kann der Abgemahnte auf negative Feststellung klagen, wenn der Abmahner von seinen Forderungen nicht Abstand nimmt. Wenn der in der Abmahnung erhobene Vorwurf eine gewisse Schwelle und in einer Forderung mündet, die tief in den Geschäftsbetrieb des Abgemahnten eingreift (Bsp.: Untersagung des Geschäftsmodells) übersteigt, kann der Abgemahnte u. U. seinerseits (berechtigt und daher kostenpflichtig !) abmahnen und Unterlassung verlangen. Die Sache eskaliert, wird für den Abmahner unkontrollierbar und hat für diesen vielleicht arg unangenehme Folgen, weil das ursprüngliche Vorhaben (Attacke) in sein Gegenteil (Verteidigung) verkehrt wird. Der Anwalt schadet dann nicht nur seinem Mandanten, sondern läuft auch Gefahr, den Respekt des Gegners zu verspielen.
Als abmahnender Anwalt muss also man zumindest seinen Gegner kennen und wissen, dass das Ding für den Abmahnenden gewaltig nach hinten losgehen kann. Man muss sich also vorher überlegen, ob man blufft, und eine Risikoanalyse vornehmen. Grundregel: Mit der Größe, Finanzkraft und Professionalität des Gegners wächst auch die Gefahr des Gegenschlags. Je heftiger
die Forderung, desto sicherer muss man sich im Hinblick auf das Bestehen des Unterlassungsanspruchs sein.
All dies hätte den Gegenanwalt in unserem Fall veranlassen sollen, die Abmahnung besser nicht zu verschicken: Seine Gegnerin, die seit Jahren erfolgreiche und in der Branche bekannte Mietplattform, gehört einer großen deutschen Verlagsgruppe an. Einzelheiten über den Dienst lassen sich unschwer der Website entnehmen. Es gibt umfassenden Markenschutz, auch europaweit und international, sowie zahlreiche Sprach- und Länderversionen der Website. Die rechtlichen Anforderungen an eine Website sind geradezu vorbildlich erfüllt. Angesichts dieser nach außen erkennbaren Merkmale und dem, was man sonst noch durch Googeln herausfinden kann, muss man also davon ausgehen, dass unsere Mandantin auch in juristischen Dingen gut aufgestellt und einigermaßen erfahren im Umgang mit Abmahnungen ist. Es ist in solchen Fällen absehbar, dass eine unberechtigte Abmahnung ihr Ziel verfehlt und wie eine Abrissbirne zurückschwingt.
4 Comments
Mir – als semiwissenden Laien – zeigt sowas, dass Abmahnen für den Abmahner zu einfach und (gegen Privatpersonen) zu risikolos ist. Den Streitwert legt der abmahnende Anwalt einseitig fest, auch mit Blick auf sein Honorar. Wenn Abmahner und Anwalt gute Kumpels sind – oder eine Rechtsabteilung das im Tagesgeschäft nebenbei erledigt – und die Abmahnung nicht wirkt, kann man das ganze geräusch- und kostenlos verschwinden lassen. Weil auch der kleine Blogger oder der Subsistenz-Journalist (oder Jens Weinreich, er immerhin einen Namen hat), einen Prozess nicht riskieren oder bezahlen kann.
Da muss meiner Meinung nach ein Risiko für Abmahner rein, am besten, dass er, falls er vor Gericht scheitert, den von ihm ja ausgesuchten Streitwert an den zu Unrecht Abgemahnten voll auszahlen muss. Dann werden zumindest die Streitwerte realistischer.
Oder es muss leichter sein, seinen Schaden (Anwaltkosten, Arbeitsausfall) ersetzt zu bekommen. Aber missbräuchliche Abmahnungen muss das Opfer beweisen.
Seltsam, dass in anderen Ländern funktioniert, was in Deutschland nicht möglich zu sein scheint …
Ich vermisse meinen soeben hinterlassenen Kommentar. Deshalb nochmals:
Seltsam, dass in anderen Ländern funktioniert, was in Deutschland nicht möglich zu sein scheint …
Ein Kommentarformular, bloss damit Kommentare gar nicht erscheinen? «In dubio pro reo» tippe ich auf Inkompetenz und nicht Absicht … :roll: