Neulich habe ich hier über das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. März 2010 – Az. VI ZR 23/09 – berichtet. Darin hat der VI. Zivilsenat die Zuständigkeit der deutschen Zivilgerichte für eine Veröffentlichung auf der Website der New York Times bejaht. Wie angekündigt, habe ich die nun vorliegenden Entscheidungsgründe aufmerksam und kritisch studiert, mein Wissen und Gewissen gehörig geprüft und meine Gedanken in Worte gegossen. Weil sich diese nicht zur Veröffentlichung in einem Blog eignen – zu technisch, zu lang -, habe ich sie in einen Fachaufsatz für den juris PraxisReport IT-Recht (juris PR-ITR) gepackt. Der Verlag hat mir freundlicherweise erlaubt, den Artikel in der Fassung für das AnwaltZeritifkat Online (AZO) hier (© juris GmbH, Saarbrücken, alle Rechte vorbehalten) zum Abruf bereit zu halten. Bitte lesen.
Kurz zusammengefasst: Ich teile die Meinung des BGH nicht. Für meine Begriffe legt der VI. Zivilsenat, der in letzter Zeit sehr erfreuliche Urteile gefällt hat, § 32 ZPO zu weit aus. Die “Möglichkeit einer Interessenbeeiträchtigung” und die “konkrete Gefahr einer Störung” sind als Kriterien zur Prüfung des Inlandsbezugs nicht nur zu schwammig und konturlos. Für Internetveröffentlichungen sind sie ungeeignet, weil sich die Effekte einer Online-Veröffentlichung von Anbietern wie der New York Times nicht steuern lassen. Ein spezifisch deutscher Bezug, wie der BGH ihn angenommen hat, ergibt sich nach meiner Meinung aus der Berichterstattung nicht, auch nicht in Bezug auf den Inhalt der streitgegenständlichen Meldung. Schließlich führt der vom BGH angelegte Maßstab zu einer Diskriminierung von Internetveröffentlichungen gegenüber Printtiteln, die sich nach meinem Dafürhalten nicht rechtfertigen lässt.
Der juris PraxisReport IT-Recht ist eine von Prof. Dr. Dirk Heckmann von der Uni Passau und Dr. Peter Bräutigam von Noerr herausgegebene, monatlich erscheindende Online-Zeitschrift. Außer meinem JBB-Kollegen Julian Höppner und mir gehören zum ständigen Autorenteam u.a. die sehr geschätzten IT-Experten Henning Krieg von Osborne Clarke in Köln, Dr. Jan Dirk Roggenkamp vom BMJ, Dr. Thomas Lapp, Jan Spoenle vom MPI in Freiburg und Thomas Stadler.
Meine bisherigen Veröffentlichung für den juris PR-ITR sind hier aufgelistet.
2 Comments
Übersehe ich im Beitrag das Argument einer “Diskriminierung von Internetveröffentlichungen gegenüber Printtiteln”? Dem wollte ich nämlich eigentlich entgegenhalten, dass diese “Diskriminierung”, wenn sie denn angesichts möglicherweise nicht vollständig vergleichbarer Sachverhalte überhaupt eine darstellt, dadurch gerechtfertigt werden kann, dass Internet-Veröffentlichungen eben wie beschrieben eine andere Wirkweise haben und allein schon leichter zugänglich sind.
Im Beitrag nenne ich es “Privilegierung von Printerzeugnissen” – in klassischer Fachliteratur formuliere ich zurückhaltender als im Blog. Die Passage befindet sich auf Seite 13, linke Spalte in der Mitte. Aber danke für den Kommentar, ElGraf. Die Frage ist sehr wichtig und gibt mir die Gelegenheit, meine Auffassung hier nochmal deutlich machen:
Die Diskriminierung besteht darin, dass es beim Printtitel darauf ankommen soll, wohin der Verleger verlegen will. Die Anerkennung dieses subjektiven Elements begründet einen qualitativen Unterschied zur Rechtslage bei Online-Veröffentlichungen. Beim Internetanbieter wird ein entsprechender subjektiver Maßstab mit dem Argument zurückgewiesen, dass es für die Beeinträchtigung des Betroffenen nicht auf die Intention des sich Äußernden ankommen darf. Wenn das stimmt, müsste es aber auch für Printpublikationen gelten. Ihr Einwand, dass Internetveröffentlichungen leichter zugänglich sind, ist faktisch durchaus berechtigt. Nur ist bei Printtiteln für die Begründung der Zuständigkeit nach der BGH-Rechtsprechung nicht bloß der Grad der Interessenbeeinträchtigung entscheidend. Wenn das so wäre, wäre ich bei Ihnen. Der BGH meint aber, dass bei Printtiteln über den Grad der Interessenbeeinträchtigung hinaus die Zielgebietsbestimmung des Verlegers ausschlaggebend sein soll. Also: Selbst wenn es zu einer massiven Verletzung durch die Presse käme, wäre nicht zugleich ein Gerichtsstand begründet. Dies ist bei Internetpublikationen anders.
Wie ich es im Beitrag (hoffentlich klar) zum Ausdruck bringe, haben es die Online-Medien – anders als die Presse – aufgrund der viralen Verbreitung von Inhalten gar nicht in der Hand, wo die Publikation den größten Effekt erzielt. Online-Medien werden demnach nicht nur in Bezug auf die Voraussetzungen der örtlichen Zuständigkeit strenger behandelt, sie können sich durch eigene Handlungen kaum einer möglichen Zuständigkeit der deutschen Gerichte und damit einer sehr potenziell strengeren äußerungsrechtlichen Beurteilung der Veröffentlichung weniger leicht entziehen. Dies führt zu einem Chilling Effect, der bei Printtiteln so nicht gegeben ist.
Aber vielleicht zieht der BGH jetzt auch die Schrauben für Printveröffentlichungen an. Dann läge keine Diskriminierung mehr vor. Abwarten.