(Was für ein Wort: “Nichtannahmebeschluss”. ) Die schlauen Männer des besten deutschen juristischen Blogs, telemedicus.info, haben herausgefunden, dass die 1. Kammer des Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH vom 23. Juni 2009 (VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 – spickmich.de) bereits mit Beschluss vom 16. August 2010 nicht zur Entscheidung angenommen hat. Um dies zu verifizieren, habe ich heute in Karlsruhe angerufen und um Übersendung der Entscheidung gebeten. Et voilà: Das Fax ist nun da und es stimmt. Hier ist der Beschluss:
Was ich persönlich ganz lustig finde: Das Bundesverfassungsgericht hat es weder juristisch noch – was angesichts der gewerkschaftlich, (datenschutz-)behördlich und ministeriell organisierten Aufregung vielleicht verständlich gewesen wäre – politisch für notwendig erachtet, die Entscheidung zu begründen. Man lese § 93 d Abs. 1 BVerfGG. Ich meine, diese Art der Verfahrensbeendigung ist angemessen. Das Ansinnen der Klägerin hat es angesichts der seit Jahrzehnten ausdifferenzierten Rechsprechung zum Verhältnis der Meinungsfreiheit zum Persönlichkeitsschutz nicht verdient, besser behandelt zu werden, als zahllose andere Verfassungsbeschwerden, die mehr Aussicht auf Erfolg haben und auch nur einsilbig und begründungslos durch Karlsruhe abgebügelt werden. Nach meiner Auffassung war die Verfassungsbeschwerde mangels Grundrechtsverletzung offensichtlich unbegründet, was der Erste Senat in meinen Augen mit dem gewählten Verfahrensende nun bestätigt hat.
Und noch was für die Jura-Nerds: Rekordzeit! Die ursprünglich gegen spickmich erlassene (und ganz schnell wieder aufgehobene) einstweilige Verfügung datiert vom 15. Mai 2007. In nur etwas mehr als drei Jahren wurden ein Verfügungsverfahren über zwei Instanzen, zwei Hauptsacheverfahren einschließlich einer Revision vor dem BGH sowie ein Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem BVerfG abgeschlossen. Nicht schlecht. Und da soll noch einer sagen, die Mühlen der Justiz mahlten langsam. Die Justiz kann offenbar auch richtig Gas geben. Wenn sie will.
Damit ist das Thema endgültig durch.
11 Comments
“Damit ist das Thema endgültig durch” ? Optimist ! Es gibt doch noch den EuGH ! ;-)
Den EuGH in diesem Fall nicht, aber vielleicht den EGMR. Kann sein. Ich glaube, das Thema ist aber trotzdem durch.
Es gibt aber doch noch das Verfahren vor dem OLG Düsseldorf, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass die GEW dieses Verfahren vor allem deswegen (noch) weiterbetreibt, weil sie auf eine begründete Entscheidung des BVerfG hofft. Darauf, tatsächlich die Oberhand zu behalten, muss die Gewerkschaft nunmehr wohl nicht mehr hoffen.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Spickmich-setzt-sich-erneut-vor-Gericht-durch-1066681.html
Kurzer Hintergrund noch zu den “Nichannahmebeschlüssen”: Diese Entscheidung macht den weitaus überwiegenden Anteil der Verfahrensbeendigungen vor dem BVerfG aus. Dass die Beschlüsse nicht begründet werden, heißt freilich nicht, dass sie nicht geprüft worden wären – hier hat immer einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter des BVerfG ein Votum geschrieben, das sich – so sagt man mir – auch ausführlich mit dem für und wider der Beschwerde auseinandersetzt. Diese Voten stammen allerdings nicht von den Richtern, so dass sie auch nicht veröffentlicht werden (für die Wissenschaft und Nachwelt m.E. etwas schade).
Ich persönlich halte es für einen Fehler, dass das BVerfG die Verfassungsbeschwerde derart wortkarg abgewürgt hat. Mit ein paar deutlichen Worten hätte man die Diskussion wahrscheinlich besser beenden können. Nicht umsonst strebt die Lehrergewerkschaft schon das nächste Verfahren an.
Und abgesehen davon: Was ist das denn für ein erbärmlicher Showdown!? ;-)
This is the way the world ends
Not with a bang but a whimper.
(T.S. Eliot, The Hollow Men)
Die mündliche Verhandlung im Düsseldorfer Verfahren fand am 25. August statt, also zehn Tage nach dem Nichtannahmebeschluss, der den Klägerinnenanwälten also schon vorlag. Verkünder am OLG D’dorf ist am 6. Oktober, vermutlich wird die Revision nicht zugelassen. Man könnte die Entscheidung also direkt mit der Verfassungsbeschwerde angreifen. Warum diese größere Erfolgsaussichten haben soll, weiß ich aber auch nicht: Ein Argument wird ja nicht durch ständige Wiederholung besser. Warum sollte das Bundesverfassungsgericht eine zweite Beschwerde in derselben Rechtsfrage plötzlich annehmen, wenn es die erste als offensichtlich unbegründet ansieht. Aber: You never know.
Ohne Sie in Ihrer Schadenfreude unterbechen zu wollen, mach ich jetzt mal folgendes Gedankenexperiment.
Ich schaffe ein Portal, auf dem Lehrer öffentlich Ihre Schüler bewerten können. Natürlich nicht die Schulnoten. Mir schwebt da eher etwas vor wie: Höflichkeit, Pünktlichkeit, Kleidungsstil, Aussehen. Etwas in der Art.
Die Bewertung erfolgt natürlich mit Nennung des Namens und Schule des betreffenden Schülers und für die bewertenden Lehrer völlig anonym.
Das Portal trage den Namen, sagen wir mal: Spickdichselbst.de
Auf das Trara seitens der Eltern wäre ich mal gespannt. Ich kann die Schlagzeilen förmlich schon lesen: “Lehrer mobben ihre Schüler im Internet!” oder Unschuldigen Schülern wird die Zukunft verbaut!”
Wieso gucken Sie denn jetzt so komisch. Gleiches Recht für alle, oder gilt die Meinungfreiheit nur dann, wenn es um Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Ansehen geht?
Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht und gilt natürlich auch für Lehrer. Allerdings sollten Sie Folgendes bedenken: Äpfel und Birnen!
1. Kommen wir auf einen Nenner, wenn ich mit unserem Grundgesetz behaupte, dass die Persönlichkeit von Minderjährigen aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung einen stärkeren Schutz auch vor Veröffentlichungen verdient als die Persönlichkeit Erwachsener? Oder – so viel Polemik erlaube ich mir jetzt mal – wollen Sie als Lehrer sich auf eine Stufe mit Kindern stellen? Außerdem: Jeder Lehrer hat seinen Beruf frei gewählt. Ein Schüler kann sich demgegenüber nicht aussuchen, ob er in die Schule geht oder nicht. Der Schüler ist verfassungsrechtlich in einem besonderen Gewaltverhältnis mit besonderen Verpflichtungen der Lehrer (und nicht umgekehrt).
Birnen sind etwas anderes als Äpfel und können daher anders behandelt werden.
2. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie der Auffassung sind, dass Lehrer in ihrer Berufssphäre stärker geschützt sein müssen als andere Menschen, beispielsweise Politiker, Rechtsanwälte oder Ärzte?
Birnen sind gleich Birnen und daher vor dem Gesetz auch gleich zu behandeln.
Abschließend erlaube ich mir die Bemerkung, dass Sie mit Ihrem Kommentar mich und meinen Charakter in einer nicht berufsbezogenen Kategorie bewertet (“schadenfroh”), unwahre Tatsachen behauptet (“komisch gucken”) und mich als Vater einer Zweitklässlerin als dünnhäutig verunglimpft haben (“Trara seitens der Eltern”). Und das Ganze auch noch “weltweit”, weil im Internet, und dazu noch anonym. Sie dürften das nicht, wenn man Ihr Gedankenexperiment zu Ende denkt. Aber wir haben zum Glück ja Meinungsfreiheit und deswegen dürfen Sie das. Und ich freue mich, dass Sie von diesem Recht Gebrauch machen, und verspreche Ihnen, dass ich Ihren Internetprovider nicht verklage, damit er Ihnen den Zugang zum Netz sperrt.
Im Übrigen sind Lehrer in Ausübung ihres Berufes durchaus in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt. Siehe zum Beispiel § 57 Abs. 4 SchulG-NRW, § 6 ADO-NRW oder auch die Geheimhaltungspflicht aus § 37 Abs. 1 BeamtStG (gilt auch für Lehrer als Landesbeamte, § 3 Abs. 2 ADO). Der Grund ist klar: Lehrer setzen als Teil der Exekutive den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 GG um und dürfen diesen Auftrag – übrigens auch in ihrer Freizeit – nicht unterlaufen. So viel zu diesem “Gedankenexperiment”.
Ich teile Ihre Freude über die Nichtannahme der Klage durchaus, wenngleich auch aus anderen Gründen.
Nimmt Sie doch einer dilettantisch gemachten Seite (ich glaube das als Informatiker einschätzen zu können), welche in den Nutzerzahlen völlig hoffnungslos hinter vz und cc zurück liegt, endlich die unverdiente Öffentlichkeit. Die beiden letztgenannten müssen einfach nicht verzweifelt nach jedem sich bietenden Strohhalm
Auch Schulversager werden sich wieder mehr bemühen müssen um einen Anlass zu finden Ihre kruden Thesen wieder in den einschlägigen Foren abzuposten.
Das Tamtam um die diversen Prozesse steht doch in keinem Verhältnis zu deren realer Bedeutung. Unter unseren Schülern konnte ich beispielsweise einen Zuwachs von 13 auf 15 Anmeldungen konstatieren, bei mehreren Hundert Nutzern der Mitbewerber. Man muss nicht sehr mutig sein, um daraus zu schlussfolgern dass der Quatsch Gymnasiasten in der Masse einfach nicht interessiert und sie geeignetere Wege finden, um Ihre berechtigten Interessen durchzusetzen.
Im Übrigen würde mich trotzdem mal den Aufschrei der gut aufgestellten Juristenlobby interessieren, wenn eine ähnlich gelagerte Seiten für Justiopfer und von trantütigen oder ahnungslosen Rechtsanwälten geschädigten Mandanten geschaltet würden.
Ich wage mal zu behaupten, dass uns Herr Feldmann wohl möglich nicht mehr mit so entspannt, süffisanten Kommentaren erfreuen würde.
“Juristenlobby” finde ich in dem Zusammenhang wirklich lustig. Wenn die Mehrheit der Juristen eine Rechtsansicht vertritt, könnte das auch daran liegen, dass sie dem geltenden Recht entspricht. :-)
Im Übrigen gibt es schon Bewertungsportale für Rechtsanwälte. Sogar auch für Richter. Die persönliche Interessenlage bei der “Juristenlobby” dürfte sich insofern nicht wesentlich von der der Lehrer unterscheiden.
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[...] Dort wird meines Erachtens etwas vorschnell behauptet, dass das “Thema jetzt durch” sei. Jetzt kann nämlich noch der EGMR helfen. Das hat er in anderen Fällen, wie zum Beispiel im “Caroline”-Fall auch schon getan. Im Jahre 2004 wurde damit die gesamte deutsche Rechtsprechung bezüglich Personen der Zeitgeschichte und deren Privatsphäre bis hin zum Bundesverfassungsgericht hinfällig. Die Bundesrepublik Deutschland zahlte Caroline im Jahre 2005 zudem Schadensersatz wegen nicht ausreichenden Schutzes durch die deutschen Gerichte und zusätzlich eine Kostenerstattung. Insgesamt belief sich die Zahlung auf 115.000 Euro. [...]
[...] der Lehrerin nicht zur Entscheidung anzunehmen, mit Nichten, wie vielerorts, zum Beispiel hier und hier verbreitet wird, zu Ende sein muss. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) [...]
[...] damit wohl abgeschlossen. Ausführlich zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bei Telemedicus. Spickmich-Anwalt Thorsten Feldmann zur Entscheidung des BVerfG. BVerfG lehnt Eilantrag gegen ELENA ab Wie vergangene Woche bekannt wurde, hat das [...]